Die Medienwissenschaftlerin und Kunstpädagogin Jule Hillgärtner, die zum Thema "Krieg darstellen" promoviert hat und im Rahmen der FotoDoks eine Lecture Performance dazu abhält, bespricht seine Arbeit in dem zum Festival erscheinenden Katalog:
Vom Zeigen und Offenhalten. Zu Dawin Meckels Fotografien Malawi - In Transition
Auf der Wohlstands-Rangliste der Vereinten Nationen belegt Malawi den 171. Platz. Das ist bei insgesamt 187 Plätzen, die im Rahmen des Human Development Index zu vergeben sind, ziemlich weit hinten. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 350 US-Dollar im Jahr gehört Malawi zu den ärmsten Ländern der Welt. Es gilt als ressourcenarm, infrastrukturell unterentwickelt sowie bildungsschwach und ist daher in extrem hohem Umfang auf ausländische Entwicklungshilfe angewiesen. Im Durchschnitt bringt eine Frau in Malawi sechs Kinder zur Welt, die Lebenserwartung liegt bei etwa 55 Jahren und von den rund 16 Millionen Menschen sind etwa eine Million an AIDS erkrankt.
All das zeichnet ein trübes Bild. Und zwar eines, das meine ohnehin äußerst vagen und unspezifischen Vorstellungen von Malawi, diesem zierlichen Zipfel Land im Südosten Afrikas, unwillkürlich bestätigt: Hier werden Körbe geflochten und Gefäße auf Köpfen getragen, wird getrommelt und im Kreis getanzt, hier schauen mich Kinder aus großen braunen Augen an, die von einem traurigen Glanz überzogen sind. So gängig diese Klischees sind, so sicher kann gelten, dass sie nicht ganz und gar stimmen, sondern eine allzu sehr vereinfachte Darstellung bedeuten, verkürzt auf das vermeintlich Charakteristische dieses von Schwierigkeiten belasteten Landes. Denn Fotografien, die unser Bild von Malawi im Besonderen und Entwicklungsländern im Allgemeinen bestimmen, stehen nicht selten im Kontext von Spendenaufrufen, welche es geradezu zwingend erscheinen lassen, das jeweilige Land als archaisches und die Menschen als Opfer darzustellen.
Dawin Meckel hat von seiner Reise nach Malawi im Frühjahr 2009 Aufnahmen mitgebracht, die nichts erklären, aber vieles zeigen. Zwar erlaubt die Serie Malawi in Transition, mit Motiven von Wellblechdächern auf improvisiert wirkenden Bauten oder von Frauen, die groß gemusterte Kleidung und ihre Kinder auf dem Rücken tragen, durchaus ein Wiedererkennen von schon häufig Gesehenem. Allerdings nie, ohne dem angeblich Bekannten, dem verbrauchten Bildklischee, etwas entgegenzusetzen – sowohl im einzelnen Foto als auch innerhalb der gesamten Abfolge. Einige Motive ließen sich ohne zusätzliche Information noch nicht einmal dem afrikanischen Kontinent zuordnen, sondern könnten vielerorts fotografiert worden sein: Sei es ein junger Mann, der sich mit Sonnenbrille auf dem Kopf und weißem Stöpsel im Ohr zwischen Gelände- und anderen Wagen auf dem Parkplatz vor einer Shopping Mall mit abgeklärtem Blick zur Kamera dreht; sei es die gepflegte Hotelanlage, wo Herren in noblen Anzügen ihre Geschäfte machen; oder seien es die Porträts zweier Studierenden in den Fluren ihrer Universität. Dass diese Fotografien ihren Entstehungsort weder lautstark zum Thema machen noch völlig verschweigen, darin liegt ihre Überzeugungskraft.
Die Serie, die Dawin Meckel in Lilongwe, der Hauptstadt Malawis, und Blantyre, dem Finanz- und Wirtschaftszentrum, fotografiert hat, verweigert sich dem simplen Einordnen. Stattdessen fordert sie alle, die sie betrachten, heraus, sich jedem einzelnen Bild ähnlich behutsam anzunähern, wie einst der Fotograf selbst es tat, um seinen Bilderwartungen und Wahrnehmungsgewohnheiten bewusst aus dem Weg zu gehen. Was daraus entsteht, ist die Gelegenheit sich zu wundern, sich überraschen zu lassen und offen zu sein für das, was in ein und demselben Augenblick auf zweierlei Ebenen stattfindet: zum einen im Betrachtungsprozess selbst, wenn frische Bilder sich allmählich über frühere legen, zum anderen in Bezug auf Malawi als Land, in dem eine Dynamik des Aufbruchs zu bemerken ist, eine Kraft und Hoffnung und Motivation, die in mancher Fotografie sichtbare Spuren hinterlassen hat.
Indem sich die Bilder und das, was sie zeigen, letztlich gerade nicht einordnen lassen, veranschaulichen sie den möglichen Umschwung in seiner spannendsten, weil noch nicht entschiedenen Phase: Ob es Malawi schafft, wie schon in den vergangenen zehn Jahren seine wirtschaftliche, bildungspolitische und infrastrukturelle Lage weiter voranzutreiben, ist wohl ungewiss, aber keineswegs unmöglich. Vielleicht hängt es nicht zuletzt davon ab, wie aufmerksam diese Entwicklungen von außen betrachtet werden – und sei es auf Fotografien, die, weil sie nicht kategorisieren und vereinfachen, sondern vielmehr flirren und schwanken, Ahnungen zulassen und unsere Sicht auf die Dinge ausweiten.
FotoDoks 2012: 17. Oktober - 21. Oktober 2012
"ACHTUNG?! – RESPECT, CONTROL, CHANGE"
Vernissage & Festivaleröffnung: 17. Oktober 2012, 19.00 Uhr
Ausstellung: 17. Oktober - 25. November 2012
Werkstattgespräch mit den ausstellenden Fotografen: 20. Oktober 2012, 14.00 Uhr
Münchner Stadtmuseum
St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München
Di - So: 10.00 - 18.00 Uhr
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Lecture Performance: "Krieg darstellen von A bis Z" mit Jule Hillgärtner
20. Oktober 2012, 19.00 Uhr
MaximiliansForum
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