Hijacked 2· Interview mit Mark McPherson

© Christoph Wilde

In nächsten zwei Tagen werden Julian Röder und Jörg Brüggemann mit jeweils einem Foto auf Andy Adams' FlakPhoto.com vorgestellt. FlakPhoto.com ist eine zeitgenössische Webseite für Fotografie, die die unterschiedlichesten Arbeiten von internationalen Fotografen präsentiert. Andy Adams hat sich mit Mark McPherson von Big City Press zusammengetan, um in den nächsten Wochen 20 Fotografen vorzustellen, die Teil der zweiten Ausgabe der Hijacked-Buchreihe sind. “Hijacked 2 – Australian and German Photography” ist letzten Monat im Kehrer Verlag erschienen. Das Buch enthält 18 zeitgenössiche fotografische Positionen aus Australien und 18 aus Deutschland, unter anderem auch die Arbeiten “The Summits” von Julian Röder und “Same Same But Different” von Jörg Brüggemann. Jörg Brüggemann hat ein Interview mit Mark McPherson, dem Herausgeber des Buches, über seine Motivation hinter dem Hijacked-Projekt und die Unterschiede zwischen der deutschen und der australischen Fotoszene geführt.


Jörg Brüggemann: Hi Mark, du hast letzten Monat das Buch "Hijacked Volume 2 - Australia/Germany" zusammen mit Ute Noll und Markus Schaden herausgegeben. Erzähle mir bitte etwas über deinen persönlichen Zugang und die Grundidee hinter den "Hijacked"-Büchern.


Mark McPherson: Bei den Hijacked-Büchern geht es darum, Kultur zurück in die Hände des Einzelnen zu legen, als Ablehnung von Kontrolle und kontrollgesteuerten Institutionen, Regierungen, Unternehmen und Ähnlichem. Ein Ziel des Projektes ist es, vielversprechende aber unterrepräsentierte Talente und etablierte Künstler auf einer gleichgestellten und demokratischen Ebene auszustellen, in vergleichender Anordung.

Ich war Fotografie-Student an der Edith Cowen Universität in Westaustralien. Max Pam war mein Dozent, später auch mein Co-Herausgeber von "Hijacked Volume 1 - Australia und America". Zeitgleich wurde Max Pam mit dem Hauptpreis für Fotobücher auf der Photo Espana 2010 ausgezeichnet. Ich hab außerdem auch in den Niederlanden und in Schottland studiert. Im Moment fotografiere ich nicht viel, stattdessen veröffentliche, kuratiere und organisiere ich Fotografie-Projekte und Ausstellungen. Die Recherchen sind zeit- und kostenintensiv. Zur Zeit möchte ich mehr Zeit in meine eigene kunstfotografische Arbeit investieren und alles ein wenig vereinfachen. Vielleicht gibt es zuviele Fotografen und nicht genug Bücher, oder zuviele Bücher und nicht genug Fotografen. Ich bin dabei, meinen Weg in der Fotografie zu finden, meine Karriere entwickelt sich noch und ist auf jeden Fall im Aufbau.

Hijacked startete im Juli 2005 als ein in Eigenregie herausgegebenes Magazin. Ein unabhängiges, limitiertes und schlichtes Heft für Fotografie, Medien, Illustrationen, Interviews, Grafiken, Strassenkunst und New Media. Ich hatte bereits 10 Ausgaben dieser schwarzweissen “Do it yourself”- Hefte veröffentlicht. Dann aber entschied ich mich, Ästhetik und Richtung zu ändern und zurück zur einfachen fotografischen Darstellung zu gehen. Also zog es mich mehr hin zur hochwertigen Produktion eines klassischen Coffee Table Books. Es ist witzig, da es jetzt soviele unabhängige Magazine, Bücher und Projekte gibt, und sie alle sind wirklich inspirierend. Zum Beispiel PIY (publish it yourself), “Self Publish Be Happy”, Lay Flay, und der unabhänger Verleger aus der Schweiz Neives.

Im Hijacked-Konzept ging es darum, kulturelle Elemente zurückzulegen in die Hände von Einzelnen. Die Kontrolle soll nicht mehr ausschließlich bei mächtigen Unternehmen und Institutionen, kommerziellen Körperschaften und Regierungen liegen. Zentrale Vorraussetzung ist der kulturelle Austausch, gemeinschaftliches Streben und eine Form von Umdeutung künstlerischer Arbeiten.
Dabei handelt es sich um einen demokratischen und egalitären Prozess, abgeleitet von künstlerischer Freiheit des Ausdrucks und künstlerischer Schöpfung. Die Hijacked-Bücher handeln von Umdeutung und Nebeneinanderstellung fotografischer Bilder um neue Meinungen, Emotionen und Inhalte zu erzeugen.

JB: Warum hast du Deutschland für den zweiten Band von "Hijacked" ausgewählt und was hast du entdeckt bei deinen Recherchen über deutsche Fotografen? Von deinem Standpunkt aus, gibt es so etwas wie eine "Junge Deutsche Schule der Fotografie"?

MM: Das ist einfach zu beantworten: Deutschland war das offenste, empfänglichste und zugänglichste Land. Es war die offensichtlichste Möglichkeit. Zusätzlich habe ich in Deutschland ein gutes Netzwerk zu Freunden, Unternehmen und andere Kontakte. Die junge fotografische Szene in Deutschland, wie ich sie kennengelernt habe, schätze ich als sehr ambitioniert, aktiv und offen ein. Ich wurde immer gut betreut auf meinen Deutschland-Reisen seit den ersten Besuchen im Jahre 1999.

Außerdem verfügt Deutschland über eine starke, gut dokumentierte Fotografiegeschichte und hat gegenwärtig eine zeitgenössische Szene samt Publikum. In Australien gibt es beides nur in limitierter Form und mit eingeschränkten Kapazitäten. Deutschland ist auch ein Teil von mir und eine Art Erbe: Meine Großmutter und meine Mutter wurden beide in Hamburg geboren und ich lebte in Freiburg, später in Berlin. Die Beziehung zwischen den Ländern ist für mich also sehr persönlich und ein natürlicher Bestand meines Lebens. Ich habe in Deutschland mehrere Jahre gearbeitet und daher ein gutes Netzwerk und eine Basis. Dann hatte ich auch noch ein kleines Publikum für den ersten Band von Hijacked über Australien und Amerika.

Die augenscheinlichste Entdeckung im Zusammenhang mit dem Projekt war, dass die Mehrheit der deutschen Fotografenen an großen Projekten arbeitet, an speziellen Themen in Serie, außerhalb ihrer eigenen Grenzen, jenseits deutscher Grenzen. Sekundär beschäftigt sich die Mehrheit der Fotografen mit der Präsentation von Realität, innerhalb der Ästhetik des Realem, etwas, das wichtiger ist als das konzeptionelle “Gelaber”.

Ich bin mir sicher, dass so etwas wie eine "Junge Deutsche Schule der Fotografie" existiert, aber ich möchte nicht Derjenige sein, der verkündet, was genau diese "Junge Deutsche Schule" ausmacht.
Vergleichende Charakteristika zu einem vielfältigen, ausdrucksstarken und fortschreitenden Fotografie-Bestand ist kontraproduktiv und ein Versäumnis gegenüber allldem, was ein Künstler tatsächlich versucht zu sagen durch aufwendige, einzigartige und spezielle Mittel.
Ja, es gibt eine "Junge Deutsche Schule der Fotografie", und diese wird es immer geben. Sie steht für eine starke Basis deutscher Fotografieschulen und einem Reichtum an Fotogeschichte. Ich bin mehr interessiert an der neuen, nachfolgenden Generation, die Unterrepräsentierten. Die Düsseldorfer Schule und die Andreas Gurskys sind notwendig und wichtig, so wie Madonna wichtig für Popmusik ist, aber es gibt eben eine Menge anderer Stimmen, Sichtweisen, Konzepte und Ästhetiken. Daran bin ich interessiert. Eher als an einer dominanten Stimme. Es ist fantastisch, dass Deutschland einen echten fotografischen Schwerpunkt zeigt, außerhalb von Düsseldorf. Ich meine Schulen wie Bremen, Bielefeld, Essen, Leipzig und die Ostkreuzschule in Berlin. Außerdem gibt es gute Veranstaltungen und Festivals wie F-Stop Leipzig, Darmstädter Tage für Fotografie, Fotobuchfestival Kassel, Photokina in Köln, und die Liste lässt sich noch fortsetzen.

Australische Fotografie benötigt eine ständige Auseinandersetzung mit dem Rest der Welt, ansonsten wird sie schrumpfen und sterben und in der Dunkelheit verschwinden.

Meine Vorstellung einer "Jungen Deutschen Schule der Fotografie" ist natürlich öffentlich, ist hoch theorethisch und wurde gebildet außerhalb von institutionellen Strukturen und Philosophien.
Sie ist nicht quantifizierbar, und bietet ein viel größeres Spektrum als in der fotografischen Publikation Hijacked 2 geboten wird. Unser Buch bietet lediglich eine kleine Auswahl von dem, was die zeitgemäße deutsche Fotografie zu bieten hat. Es ist klar, dass es viele ernsthaft talentierte Fotokünstler gibt wie Andrea Diefenbach, Mattieus Steffen, Georg Parthen, Jörg Koopmann und viele andere, welche wir wegen des Umfangs und der Finanzierbarkeit nicht in das 412 Seiten starke Buch mit heinein nehmen konnten.



JB: Leider erfahren wir in Deutschland wenig über die fotografische Szene in Australien. Gibt es etwas, dass sie einzigartig und speziell macht?

MM: Die australische Fotografie ist eine Karikatur ihrer nationalen Identität. Sie ist natürlich, aufstrebend, neugierig, manchmal provinziell und beschaulich. Die australische Fotografie-Szene ist neu für mich, ich habe erst seit ungefähr fünf Jahren eine Verbindung zu dieser fotografischen Umgebung. Ich habe das Gefühl, diese Szene entwickelt und verbreitet sich noch, sie versucht gerade, sich mit den wichtigsten repräsentativen Anflaufstellen zu verbinden. Ich glaube nicht, dass wir das europäische Stigma haben, Kommerzielles, Fine Art und Dokumentarfotografie zusammenzubringen. Ich selbst habe versucht, die Grenzen und vorhandenen kategorischen Definitionen in der Fotografie aufzulösen, um neue Reize und Ideologien innerhalb der fotografischen Gemeinschaften zu erzeugen.

Es ist nicht wirklich viel zu erzählen, da die australische Fotoszene sehr fragmentiert ist, mit kleinen Gruppen und Einzelnen, welche alle unabhängig arbeiten. Vielleicht mit einer leichten Tendenz zur do-it-yourself Herangehensweise. Ihr solltet mit Anne Marsh von der Monash Universität darüber sprechen, oder Helen Ennis von der Australian National University, sie haben Diplome und Lehrstühle, ich habe das nicht und werde es auch nie haben.

Ich glaube nicht, der passende Ansprechpartner für solche Fragen zu sein, ich arbeite am Rand, am Anlegerplatz und ich bin nicht vertraut mit dem sich ständig ausweitenden Umfang der Fotografie. Praxisnahe Fotografen aus Australien sind vielleicht eine bessere Wahl um solche Fragen zu beantworten. Oder einer der Direktoren von den Universitäten, Museen, Kunstschulen und Ähnliches. Uta Deur hat einen sehr ausführlichen Essay für das Buch geschrieben, welches dieses Thema detailliert behandelt. Auch andere Schreiber im Buch beschäftigen sich damit. Den tiefliegendsten Aspekt in der jungen australischen Fotografie sehe ich in der atypischen Ästhetik, und seine nicht wirklich zuordenbare Identität. Es sind keine Nebenprodukte aus der europäischen oder amerikanischen Bildkultur, es bestehen stärkere Bindungen und Gemeinsamkeiten mit den asiatischen Nachbarn.

Australien ist eine Insel und daher geografisch vom Rest der Welt isoliert, deshalb ist unsere Fotoszene ganz natürlich abgeschottet. Die Szene agiert in fiktionaler Isolation. Deshalb ist die Szene auch sehr klein, und hat aktive Haufen quer im ganzen Land. Hijacked ist der Versuch, alle diese unterschiedlichen Standpunkte, Temperamente und Einstellungen gegenüber Fotografie zusammenzuführen. Gesehen als Ganzes würde ich sagen, einige Elemente oder subjektive Gemeinsamkeiten konzentrieren sich auf Stadtränder, konzeptionelle Zugänge und Aspekte des Reisejournalismus. Aber es ist wirklich schwierig.

JB: Du scheinst ein großartiger Netzwerker zu sein. Innerhalb kürzester Zeit hattest Du Kontakte zu vielen interessanten Leuten aus der deutschen Fotografieszene. Wie bist du auf Ute Noll und Markus Schaden gekommen und wie verlief die Kooperation?

MM: Die Zusammenarbeit war toll, spontan, erfüllend und eine Erfahrung, die ich auf jeden Fall sehr wertschätze. Ein großer Netzwerkerr bin ich nicht, ich mag einfach Menschen und freue mich an der Gesellschaft künstlerischer, kreativer Menschen, solche mit offenen Herzen und offenen Gedankenwelten.

Ich traf Ute Noll in Stuttgart 2008, als wir den ersten Band von Hijacked bei Fluctuating Images präsentierten. Nathalie Latham hatte vorgeschlagen, dass wir uns treffen sollten und so ging ich mit einem Freund, Jess Scully, in Ute Nolls Gallerie. Sie ist unabhängig, professionell und ambitioniert, daher war das erste Zusammentreffen sehr gut. Nach viel schwäbischer Küche und Kaffee genossen wir das herrliche Sommerwetter in Stuttgart. Mit ihr zu arbeiten war die natürlichste Wahl, ebenso wie der Vorschlag mit Markus Schaden zusammenzuarbeiten. Schon 2008, als ich mein erstes Buch bei Neunplus herausbrachte, sagten viele Leute, er wäre "der" Mann, falls ich jemals ein Buch mit deutschen Fotografen machen wollte. Rückblickend betrachtet hatten diese Leute Recht.

Ich traf Markus Schaden 2009 in Arles, davor hatten wir ein paar lange Ferngespräche über das Projekt. Ich musste mich entscheiden, entweder nach Arles zu reisen oder nach Berlin, um Blixa Bargeld zu treffen. Ich entschied mich dann für Markus Schaden. Nach Arles konnten wir 3 Tage lang in Köln zusammen mit Ute Noll am Editing arbeiten, in einer Gemeinschaftshalle unterhalb von Markus´ Appartement, was fantastisch war. Leider konnte Blixa Bargeld deshalb nichts für die Publikation schreiben. Das Editieren, die Auswahl und das Zusammenstellen des ersten Entwurfes von Hijacked 2 war eine viel größe Herausforderung und tatsächliche Arbeit als es bei Hijacked 1 mit Max Palm war.



JB: Was sind deine nächsten Pläne? Welches Land soll als nächstes "Hijacked" werden?

MM: Ich weiss nicht, ob noch viel nach Hijacked 2 kommen wird, da ich mich selbst ein bisschen wie Alice im Wunderland in einem Kaninchenbau voll Schulden und finanziellem Disaster eingegraben habe. Vielleicht war es das mit Publikationen. Ich werde nach etwas Stabilerem Ausschau halten, mit Aussicht auf finanzielle Rückflüsse.

Gegenwärtig reise ich viel für Hijacked 2 und arbeite für die National Australian Hijacked Tour, auch für Buchvorstellungen bzw. Markteinführungen in Australien, Europa und den USA, und die Teilnahme an internationalen fotografischen Bewertungen. Ich bin also geschäftig, finanziell überlebe ich aber nur knapp. Ich denke, es wird Zeit, einen richtigen Job zu haben.

Außerdem möchte ich auch etwas mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Ich überlege noch in welche Richtung ich als unabhängiger Herausgeber gehen kann. Ich möchte mehr an Monographien arbeiten und unterschiedliche Publikationen machen, außerhalb des Paradigma von Hijacked, besonders mit neuen Fotokünstlern aus Australien. Abwarten, ob das möglich ist.

Das nächste Hijacked-Projekt ist für 2012 geplant, für gewöhnlich braucht es ungefähr zwei Jahre, Hijacked 3 - Australien & Großbritannien. Das wurde möglich durch meine Anwesenheit bei Rhubarb, dem internationalen Fotografiefestival in Birmingham. Ich habe meinen Co-Herausgeber Louise Clements, Senior Kurator vom Format-Festival Quad - Derby, dort getroffen. Das ist eine tolle Plattform für Fotografen, Kuratoren und Herausgeber.

Ich bete außerdem und versuche Stefanie Braun von der UK Photographers Gallery von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Manchmal kann ich extrem hartnäckig sein. Danach scheint im Moment die einzige realistische zukünfitige Kombinaton für das Hijacked-Projekt Indien zu sein. Hauptsächlich wegen meiner Freundschaft zu Kapil Das. Vielleicht auch mit Frankreich, es gab Diskussionen und Gespräche mit Charles Freger. Aber man weiß eben nie, welche Möglichkeiten vor einem liegen, welche Chancen sich in der Zukunft noch bieten.

In der nächsten Zeit gibt noch zwei weitere Book Launches Events. Eins in Köln bei Schaden und ein weiteres in New York:
Schaden.com, Cologne, Germany
Albertustraße 4, Cologne
September 25, 2010, 7 pm

Klompching Gallery & Dumbo Arts
Festival, New York, USA
111 Front Street, Brooklyn, New York
September 25, 2010, 7 pm


OSTZEIT - Presseschau

© Werner Mahler

Mit 15.000 Besuchern war OSTZEIT – Geschichten aus einem vergangenen Land die erfolgreichste Ausstellung, die das Haus der Kulturen der Welt jemals beherbergt hat. Vor einem Monat ist sie zu Ende gegangen: Zeit für einen medialen Rückblick.

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OSTZEIT - Finissage

© Thomas Meyer

Am 13. September 2009 ging die OSTKREUZ-Ausstellung "OSTZEIT - Geschichten aus einem vergangenen Land" mit einer Podiumsdiskussion zum Thema "Das was war, war so nicht - Die Veränderung in der Wahrnehmung von DDR-Alltag im kollektiven Gedächtnis von heute" mit den Fotografen Sibylle Bergemann, Harald Hauswald und Thomas Hoepker (Magnum), dem Schriftsteller Ingo Schulze und der Moderatorin Marion Brasch zu Ende.
Die Diskussion wurde getragen von den großartigen Geschichten, die die Teilnehmer über ihre Zeit in der DDR zu berichten hatten. Hoepker war Anfang der 70er Jahre der erste westdeutsche Fotojournalist, der eine Akkreditierung für die DDR bekam. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurde er von der Fotografengruppe um Sibylle Bergemann, Arno Fischer und Ute und Werner Mahler herzlich aufgenommen und schwärmt noch heute von der einzigartigen Nestwärme, die er damals erfahren durfte.

Die Diskussion hat gezeigt, dass OSTKREUZ mit seiner Fotografie eine Sonderstellung in Deutschland und in der Debatte über die ehemalige DDR einnimmt. Ohne Nostalgie und ohne sich vereinnahmen zu lassen, zeigt die Ausstellung ein ungeschöntes Bild vom Leben in der DDR. Auch im Nachhinein, jetzt da die Bilder längst zum Zeitdokument geworden sind, wehren sie sich erfolgreich dagegen, eine Ideologie zu bedienen. Sie sind immer noch das, was sie immer waren: subjektive Betrachtungen einer besonderen Zeit an einem besonderen Ort. Egal, ob aus Ost oder West, sie sprechen jeden Betrachter an, weil sie ihm immer noch etwas Neues über die ehemalige DDR erzählen können. OSTZEIT ist mit insgesamt 15.000 Besuchern die erfolgreichste Ausstellung aller Zeiten im Haus der Kulturen der Welt und auch der im Hatje Cantz Verlag erschienene Katalog ist ein großer Erfolg. OSTKREUZ möchte deshalb noch einmal allen Beteiligten für ihr Engagement danken. All images © Julian Röder/OSTKREUZ


How To Make A Book With Steidl

© Tobias Kruse

Die Idee
Dieses Buch versucht etwas, das eigentlich unmöglich ist. Es will einen ganzen Tag im Leben einer Stadt einfangen. Das sind vierundzwanzig Stunden, die von einem Sonnenaufgang zum anderen reichen. Aber dieses Buch glaubt nicht daran, dass sich ein Tag aus Stunden oder Minuten zusammensetzt. Er besteht aus Momenten. Sie entstehen immer dort, wo sich für einen Augenblick lang zeigt, was war, was ist, was sein könnte. Wenn es gelingt, diese Augenblicke in Fotografie festzuhalten, dann lässt sich die Zeit darin aufheben. Das ist der Wunsch, der hinter diesem Buch steht. Es will die Zeit anhalten und sie zugleich bewahren. Damit wir später und für immer sagen können – so ist es gewesen, so haben wir gelebt. An einem Tag im September in Berlin.

Die Stadt
Berlin ist die Stadt der Ungleichzeitigkeit. Ihre Vergangenheit ist zerbrochen, geteilt und verheert. Ihre Gegenwart angestückt, aufgesetzt, gnadenlos. Ihre Zukunft scheint in Lücken und Brachen auf. Wie riesige Schollen werden diese Zeitalter von den Kräften der Stadt aufeinander getrieben. In einem Moment kann ein Bruch aufreißen, in dem alle miteinander sichtbar werden und sich im nächsten Moment schon wieder schließen. Das ist die Landschaft, in der die Bewohner dieser Stadt leben, arbeiten, wohnen, tanzen, scheitern, hoffen, sterben. Verbunden nur darüber, dass alles, was ihnen passiert ist, passiert, passieren könnte, hier geschieht. Alles gleichzeitig, aber jedes zu seiner Zeit. Deshalb Berlin. Es gibt keinen anderen Ort.

Die Fotografen

Nach dem Fall der Mauer haben in dieser Stadt sieben Fotografen die Agentur Ostkreuz gegründet. Es ist der Name eines Bahnhofes, von dem aus man in jede Himmelsrichtung aufbrechen kann. Für sie sollte es einen Punkt bezeichnen, von dem sie ausgehen und in dem sie sich immer wieder treffen. Neunzehn Jahre später stellt sich diese Agentur die Aufgabe, sich ihrer Heimat zu vergewissern. Dazu hat sie sechsunddreißig Fotografen versammelt. An einem Septembermorgen des Jahres 2008 sind sie hinausgegangen in die Stadt. Einige sind bestimmten Menschen gefolgt, einige an bestimmten Orten geblieben, einige haben sich treiben lassen. Jeder von ihnen hat eine eigene Linie durch Berlin gezogen. Aus diesen Linien ist am Ende ein Netz entstanden und hat eingefangen, was doch eigentlich unmöglich ist – einen Tag im Leben einer Stadt.

Marcus Jauer


"OSTZEIT - "Geschichten aus einem vergangenen Land"

© OSTKREUZ

Seit dem 15. August präsentiert OSTKREUZ die Ausstellung "Ostzeit - Geschichten aus einem verschwundenen Land" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Die Ausstellung zeigt Fotografien von Sibylle Bergemann, Harald Hauswald, Ute und Werner Mahler sowie Maurice Weiss aufgenommen vor und während des Fall der Berliner Mauer. Die Bilder öffnen ein Fenster zu ihre gemeinsamen Wurzeln und ihre individuellen Perspektiven auf Ost-Deutschland.
Bis jetzt ist die Ausstellung mit über 10.000 Besuchern in den letzten drei Wochen und zahlreichen Erwähnungen in nationalen und internationalen Medien ein großer Erfolg. Wir sind sehr dankbar für die positive Reaktionen, die uns von vielen Seiten erreichen und für die fortlaufende Diskussion über die Rolle der Fotografie in der ehemaligen DDR.
Daher wird die Ausstellung beendet durch eine Podiumsdiskussion mit Sybille Bergemann, Harald Hauswald, Thomas Hoepker (MAGNUM) und Ingo Schulze über die veränderte Wahrnehmung des Alltags in der ehemaligen DDR. Sonntag, den 13. September, um 7 Uhr. Der Eintritt ist frei. © OSTKREUZ



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